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Musikalische Grenzen durchbrechen
Jenseits aller Konventionen zu denken war den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern schon immer ein wichtiges Anliegen, um ihr Konzertangebot für alle zu öffnen und das Klischee von der elitären klassischen Musik ganz tief zu begraben. 2023 findet so vom 11.-13.08. schon zum vierten Mal das detect classic festival statt, das wieder auf dem weitläufigen Areal von Schloss Bröllin zwischen Klassik und Elektronik, Ambient und Beats, Sinfonieorchester, DJs und Livemusik die Grenzen zwischen Club, Konzerthaus und Philharmonie verwischt und dabei ein Publikum begeistert, das von neugierigen Festivalgänger:innen bis zu leidenschaftlichen Klassikfans reicht.
Auch die Reihe »Nicht ganz klassisch«, die 2022 zum ersten Mal Einzug in das Programm des Festspielsommers hielt, wird in diesem Jahr weitergeführt: Wenn aufstrebende Musiker:innen aus der jungen Jazzszene bei den »Grenzgängen« virtuos aufspielen oder arrivierte Künstler:innen die Grenzen der vermeintlichen Klassik hinter sich lassen, ist für jeden Geschmack etwas dabei.
Schauspielerin und Sängerin Jasmin Tabatabai verzaubert in der Rostocker Halle 207 mit ihrer Stimme und kombiniert Marlene Dietrich mit Hildegard Knef, wenn sie dem Publikum ihr ganzes Repertoire von Jazz über Chanson bis zu persischen Volksliedern präsentiert (30.06.). Die Nacht mit ihren diversen Stimmungen, Leidenschaften und Abgründen präsentieren die Musiker des SIGNUM saxophone quartet gemeinsam mit Pianist Kai Schumacher und nehmen die Gäste mit auf eine Reise von tiefschwarzer Mitternachtskontemplation bis hin zur grellbunten Clubextase (30.06.). In ihrem neuesten Programm »Phoenix« erforscht das österreichische Blechbläserseptett Mnozil Brass mit angemessenem Unernst die ernsten Dinge des Lebens und zeigt Facettenreiches und Unterhaltsames irgendwo zwischen typischer Blasmusik, Schlager, Jazz, Pop, Oper und Musikkabarett in der Darguner Kloster- und Schlossanlage (07.07.). Das siebenköpfige Ensemble Philharmonix eröffnet in der Torgelower Eisengießerei neue Klangwelten, die Jazz, Folk, Pop und Latin miteinschließen. Das Besondere an dem Abend: Sein vollständiges Programm wird erst vor Ort spontan zusammengestellt. Philharmonix ist also immer für eine Überraschung gut (23.07.).
Geeint in Neugier und Offenheit sowie der Lust, Neues auszuprobieren, feilen die Musiker von Uwaga! gemeinsam mit Thomas Leleu im Kulturhaus Mestlin an einer gemeinsamen Vision: einer Musik ohne Grenzen, die glücklich macht und auf direktem Weg ins Herz und in die Beine geht (04.08.). Während das Landesjugendjazzorchester mit Posaunist Dan Gottshall groovigen Sound in klassischer Bigband-Besetzung in die Klosteranlage Rehna bringt (18.08.), lassen Gisbert zu Knyphausen und Kai Schumacher in der Greifswalder Stadthalle »irre Hunden heulen«. Mit Till Brönner steht am 20.08. einer der Jazztrompeter des 21. Jahrhunderts auf der Bühne im Park von Schloss Bothmer und nimmt das Publikum gemeinsam mit der NDR Bigband mit in die Welt des Jazz.
Unkonventionelle Klangsprache, eine musikalische Abenteuerreise und die unstillbare Lust, Neues zu entdecken — all diese Aspekte finden sich bei den Nachwuchstalenten des Jazz. Die Reihe »Grenzgänge« widmet sich auch 2023 diesem faszinierenden Mikrokosmos mit Entdeckungen aus der jungen Jazzszene.
Eine Kostprobe ihrer Kompositionen, die förmlich vor komplexen Formen und Rhythmen sowie ungewöhnlichen Melodien und großer Experimentierfreude sprühen, liefert das Vincent Meissner Trio in der Rostocker Kunsthalle (06.07.). Im Schauspielhaus Neubrandenburg treffen sehnsuchtsvolle Melodien auf ausdrucksstarke Rhythmen, wenn die aus der Mongolei stammende Pianistin, Komponistin und Dirigentin Shuteen Erdenebaatar mit ihrer unverkennbaren Tonsprache das Publikum verzaubert (22.07.). Die Pianistin und Sängerin Anna Gréta ist vom nordischen Klang ihrer Heimat Island geprägt und formt im Schweriner Perzina-Saal mit ihren Songs aus Jazz und Pop ein magisches Ganzes, das sich niemand entgehen lassen sollte (28.07.).
Ein besonderes Highlight umfasst das am ersten Septemberwochenende in Prora/Rügen stattfindende »Baltic Beach Brass — Woodstock goes Ostsee«, das zum ersten Mal in Norddeutschland stattfindet (01.-03.09.). Das BBB ist ein Ableger der sehr erfolgreichen österreichischen Mutterveranstaltung »Woodstock der Blasmusik«, bei dem sowohl Profi- als auch Amateurmusiker:innen die Bühnen bespielen und das Gebiet um die Jugendherberge Prora zum Beben bringen.
Offenheit und Neugier treiben zu spannenden Entdeckungen und in neue Welten; sie offenbaren Schätze — nicht nur der Musik, sondern des Lebens allgemein. Dafür steht »Nicht ganz klassisch«: eine faszinierende Klangwelt, die Altbekanntes in neuer Auflage präsentiert und somit den Spagat zwischen modern und zeitlos schafft.
Text von Katharina Gläßer