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Zum 100. Geburtstag von Friedrich Wilhelm Murnau
Der Wismarer Hafen wird sich am 9. September 2022 in eine große Open Air-Bühne verwandeln und allen Zuschauenden die Welt des 20er-Jahre-Klassikers »Nosferatu« eröffnen. Anlässlich des 100. Geburtstags des legendären Films von Regisseur und Erfinder Friedrich Wilhelm Murnau findet diese Veranstaltung mit Wismar an einem der originalen Drehorte statt und verzaubert dabei durch ihr ganz eigenes Flair. Der Stummfilm wird durch innovativen Jazz von den Musikern Michael Wollny und Christian Weber sowie Mitgliedern des Norwegian Wind Ensembles untermalt und erhält dabei ein neues musikalisches Gewand.
Der Mann hinter »Nosferatu«
Friedrich Wilhelm Murnau gilt als einer der bedeutendsten Regisseure der Stummfilmzeit. Mit rein filmischen Mitteln wusste Murnau eine Geschichte zu erzählen, brachte damit Kameraführung und Perspektive auf ein neues Level und schaffte für den Zuschauer eine neue Art des Stummfilms, die sogar fast gänzlich auf Zwischentitel verzichten konnte. Der Film »Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens« bedeutete Murnaus großen Durchbruch, der ihm nach der Publikation 1922 auch die Tore Hollywoods öffnete. Als unautorisierte Adaption von Bram Stokers »Dracula« musste der Stummfilm in »Nosferatu« umbenannt werden, was fälschlicherweise als Bezeichnung für Vampire aus der rumänischen Sagengeschichte angenommen wird. Obwohl auf Ansinnen der Witwe Stokers 1925 alle Kopien des Films vernichtet werden sollten, blieben dennoch einige Exemplare erhalten, sodass der Film auch heute noch aufgeführt werden kann. 1981 wurde dieser auf Initiative des Filmmuseums München erstmals restauriert.
Murnaus Film gilt u. a. als Wegbereiter der modernen Vampirfilm-Ära, zeigt er doch bereits verschiedene Motive wie die Stiche am Hals oder das Erwachen bei Dunkelheit auf. Jedoch weicht er auch in entscheidenden Punkten vom Vampirklischee ab: Der Tod wird zum Beispiel von den die Pest verbreitenden Ratten hervorgebracht und die Menschen verwandeln sich durch einen Biss auch nicht in Vampire, wie es neuere Werke dieses Genres umsetzen.
»Nosferatu« ist inhaltlich von den Nachwehen des Ersten Weltkrieges geprägt und gilt daher als Paradebeispiel des Expressionismus. Charakteristisch dafür sind vor allem das expressive Spiel der Darsteller:innen sowie die starken Kontraste der Lichtverhältnisse. Dem stehen die realen Landschaftspanoramen und Drehorte, die das aufkommende Unheimliche und den Tod als Naturgewalt der idyllischen Landschaft darstellen, diametral entgegen. Der Film schafft also mit seinerzeit neuer Methodik und inhaltlicher Anlehnung an die Kriegsauswirkungen ein ganz eigenes mystisches Bild des Unheimlichen im Alltagsgeschehen und symbolisiert dabei den Schock der Bevölkerung bei Kriegsausbruch.
»Nosferatu« & Musik
Wenn der Stummfilm beim Konzert mit Wismar mit einer »neuen« Live-Musik verknüpft wird, dann kommt das nicht von ungefähr: So benutzte schon Murnau selbst bei der Regie ein Metronom, um das Spiel der Schauspieler:innen zu rhythmisieren. Die Bildaufstellung und Bewegung der Darsteller:innen war also schon von Grund auf musikalisch gedacht und verband sich adäquat mit der originalen Filmmusik, die von Hans Erdmann stammte. In vielen kleineren Lichtspielhäusern der 20er-Jahre wurden allerdings auch live vor Ort von versierten Kinopianisten im Moment der Vorführung eine gänzlich neue Musik erdacht. Auf diesen Spuren werden bei der Veranstaltung auch die auftretenden Musiker:innen wandeln.
Weitere Besonderheiten des Films sind vor allem die große Anzahl an Außenaufnahmen und die intensive Nutzung realer Drehorte, die den Einbruch des Unheimlichen in den Alltag noch verstärken und somit die Verbindung zu Wismar perfekt machen.
Mit seinen regionalen Bildern und der rhythmischen Gestaltung verwandelt »Nosferatu« schon seit mehreren Wochen die Stadt Wismar in die Welt seines Namensgebers: Neben thematischen Stadtführungen und dem Theatersommer, der sich in diesem Jahr Graf Orlok und seiner Geschichte widmet, veranstalten die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern ein Open Air im Wismarer Hafen: einerseits mit dem Wassertor im Rücken, durch das einst (zumindest fiktiv) der Herr des Grauens schritt, und andererseits direkt an der Wasserkante, an der das Schiff mit ihm an Bord hielt. Inmitten dieser Kulisse treten Michael Wollny, Christian Weber und Mitglieder des Norwegian Wind Ensembles auf und geben dem Film ein jazziges Gewand. Michael Wollny hat zum Filmklassiker und seinem Protagonisten eine ganz besondere Beziehung: Schon als Kind hat ihn die bedrückende Musik des Werkes fasziniert und die Geschichte um Graf Orlok ebenfalls gegruselt. Besonders wird an diesem Abend des 9. Septembers, dass die Musiker:innen frei improvisieren und nur durch das Achten aufeinander und auf das Leinwandspiel live ein fulminantes Stück zusammenstellen, das die Veranstaltung zu einem unvergesslichen Erlebnis machen wird:
Es ist ein guter Moment im Horrorkino, wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird.
Michael Wollny
An diesem Abend geht es also um das Erforschen neuer Klangräume und um künstlerische Begegnungen sowie kreative Herausforderungen — wir sind schon ganz gespannt, wie wir trotz des Grusels auf der Leinwand die Musik auf eine neue, alternative Art entdecken!
Von Katharina Gläßer