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»Weil es einfach so herrlich nett ist ...«
Emmanuel Tjeknavorian, Preisträger in Residence 2022, im Gespräch mit Festspielintendantin Ursula Haselböck
Du bist als Sohn einer Pianistin und eines Dirigenten in eine armenisch-stämmige Familie in Wien, der sprichwörtlichen Musikhauptstadt, geboren. Der Weg zur Musik war dir gewissermaßen vorbestimmt …
Ich bin in Wien geboren und aufgewachsen, aber mein Vater war damals Chefdirigent in Armenien und somit sind wir viel hin- und hergefahren. Als ich sechs Jahre alt war, haben meine Eltern beschlossen, dass ich Armenisch und Russisch in der Schule lernen soll. Deshalb bin ich vier Jahre lang in Armenien in der Volksschule gewesen. Nachdem ich eine Spielzeuggeige geschenkt bekommen habe, entstand der Traum von einem echten Instrument. Er erfüllte sich endlich, als ich fünf Jahre alt war.
… und sorgt für einen familiären Geist, den auch ich in meiner noch gar nicht so langen Intendanz bereits sehr zu schätzen gelernt habe.
Du sprichst etwas ganz Wichtiges an: die familiäre Atmosphäre! Mit diesem Wort wird sehr salopp umgegangen, aber wenn ich über eine musikalische Familie sprechen würde, dann wäre das wirklich Meck-Pomm. Das sage ich nicht, weil ich hier Residenzkünstler bin und die Gelegenheit habe, das zu sagen, sondern weil es tatsächlich sehr familiär ist. Der Umgang mit uns Künstlerinnen und Künstlern, der Kontakt zur und mit der Intendantin — das ist ganz anders, viel enger. Und deshalb kommen auch viele so gerne hierher: Es wird nicht nur das Renommee des Festivals geschätzt, sondern man ist hier, weil man verstanden und wertgeschätzt wird und weil es einfach so herrlich nett ist. Und das ist doch in einer idealen Familie so, oder?
Als Veranstalter muss man natürlich eine gewisse Balance schaffen: Einerseits muss man dem Publikum Neues präsentieren, aber gleichzeitig ist es wichtig, langfristig mit Künstlern und Künstlerinnen zusammenzuarbeiten, zu wissen, was sie wollen, sich zu überlegen, welche Zusammenarbeit spannend wäre und so neue Begegnungen zu schaffen. Ich denke etwa an Daniel Müller-Schott, den du bei den Festspielen überhaupt erst kennengelernt hast.
Absolut! Bei unserem ersten Zusammentreffen in Hasenwinkel damals haben wir sofort gewusst, dass das eine ganz enge Freundschaft sein würde. Eben hier bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern ist eine enge, enge Verbindung entstanden. Wir mögen uns sehr und dann kann die musikalische Leistung umso intensiver sein … Mit Künstlern und Künstlerinnen planen ist wichtig — und zwar im Optimalfall wie hier, bevor sie wirklich ganz groß sind. Als Künstler oder Künstlerin vergisst man das nicht und man entwickelt ein Gefühl der Dankbarkeit im Sinne von: »Die waren gut zu mir, als ich noch nicht der absolute Superstar war.« Dieses Vertrauenschenken bedeutet mir persönlich sehr viel. Das zeichnet euch in Mecklenburg-Vorpommern aus: ein gewisser Mut und eine Risikobereitschaft, das Verbinden, all das ist bei der Festivalgestaltung wichtig.
Wenn wir Konzerte planen, dann spielt neben der Künstler- und der Programmauswahl auch die Wahl des Ortes immer eine große Rolle. Wenn das Konzert dann stattfindet, sind wir jedes Mal wieder gespannt, ob Ort und Programm auch wirklich so gut zusammenpassen, wie wir es uns vorgestellt haben. Gleichzeitig bringen wir vor allem junge Stars hierher wie dich, Emmanuel, um das Festival langfristig mitzuprägen. Das macht besonders Spaß: dieses Hineinwerfen und Planen.
Meiner Meinung nach kann ein Festival nur dann eine künstlerisch wertvolle Handschrift bekommen, wenn man mit Künstlerinnen und Künstlern langfristig plant. Es wird doch umso schöner für alle Beteiligten, wenn man sich langfristig bindet, die Teammitglieder Jahr für Jahr wiedersieht und am Ende im Hotel sogar die Zimmer schon ganz genau kennt. Davon ausgehend kann man weiterwachsen, sich künstlerisch weiterentwickeln und man wird gefordert, programmatisch zu denken. Solche Partnerschaften sind ein Gewinn für beide Seiten.
Für mich als Intendantin ist es doch eine besondere, wenn auch sehr schöne Herausforderung, für dieses Festival immer neue Ideen zu entwickeln, weil man ein ganzes Land in seiner Weitläufigkeit und Heterogenität — beim Publikum wie bei den Orten — musikalisch füllen möchte. Wie erlebst du das Publikum in Mecklenburg-Vorpommern?
Das Interessante ist, dass das Publikum hier überall anders ist, auch in den Reaktionen.
Apropos Mozart: An einem Wochenende steht ein ganz besonderes Instrument im Fokus, denn du wirst dann auf einer Geige spielen, die im Besitz von Wolfgang Amadeus Mozart war. Geht hier ein Herzenswunsch in Erfüllung?
Wenn man in Österreich aufwächst, aber auch wenn man überhaupt Musiker oder Musikerin bzw. ein musikliebender Mensch ist, dann besucht man irgendwann im Leben die Stadt Salzburg, nicht? Und dann besucht man auch das Geburtshaus von Mozart oder sein Wohnhaus. Auch ich war als Kind in Mozarts Geburtshaus und habe dort ich in der Vitrine hinter Glas Mozarts Geige gesehen. Schon damals bin ich ins Schwärmen gekommen, aber es kam nicht einmal in Frage, dass ich je die Geige spielen werde, die Mozart in den Händen hielt. Aber 2017 war es so weit: Plötzlich ging die Tür zum Himmel quasi auf und mir wurde diese Geige übergeben. Man muss sich vorstellen: Als Musiker beschäftigt man sich sein Leben lang mit Mozart, spielt seine Werke, kann ihn aber nicht greifen und dann darf man ein Objekt berühren, das er berührt hat. Das war wirklich ein unglaublicher Moment. Es hat sich herausgestellt, dass die Geige wunderbar zu meinem Spiel passt und somit ist eine gewisse Chemie entstanden. Mozart klingt auf ihr wirklich anders und daher habe ich mir gewünscht, dass diese Geige während meiner Residenz eine Reise nach Mecklenburg-Vorpommern unternimmt.
Im Rahmen des Friends- und des Preisträger-Projektes spielst du mit engen musikalischen Freundinnen und Freunden von dir selbst erdachte Programme. Wie bist du bei der Konzeption vorgegangen?
Ich habe tatsächlich überlegt, mit welchen Musikerinnen und Musikern ich gerne zusammen musiziere und unter diesen sind wirklich viele Preisträger und Preisträgerinnen der Festspiele. Und dann habe ich versucht, nicht einfach nur dramaturgisch zu denken, also welche Stücke interessant wären, und habe auch nicht nur darüber nachgedacht, was ich persönlich gerne spielen oder hören würde. Ich hatte den Luxus, mit den jeweiligen Musikern und Musikerinnen im engen Austausch zu sein, und habe ganz offen gefragt, was sie gerne mit mir oder anderen spielen würden und was es für Herzensstücke für sie gibt. Spontan muss ich an ein Gespräch mit der wunderbaren Anastasia Kobekina denken — die ich übrigens schon seit 2008 kenne, wenngleich wir nie zusammengespielt haben, aber nun ist es in Mecklenburg-Vorpommern endlich so weit — und sie sagte: »Also, mit dir möchte ich unbedingt Mozart spielen.« Und dann baut man rund herum die Programme.
Kannst du ein Konzert oder ein Programm nennen, auf das du dich besonders freust?
Ich finde, wenn man über eine Residenz spricht, dann kann man überhaupt nicht sagen, worauf man sich konkret freut. Als Residenzkünstler hat man das Glück, ja wirklich alle Programme zu gestalten, insofern ist es überhaupt nicht klischeehaft oder pathetisch gesagt, aber ich freue mich wirklich auf jedes einzelne Konzert. Die Bandbreite ist unglaublich und ich könnte nicht ein konkretes Programm nennen.
Dass das Dirigieren aber deine wahre Passion ist, merkt man in deiner Residenz sehr deutlich: Du wirst sowohl Geige spielend als auch dirigierend auf dem Podium stehen.
Eigentlich bin ich als Mensch und als Musiker, insbesondere als Geiger untypisch unambitioniert und unehrgeizig. Ich habe nie Pläne geschmiedet, was ich als Geiger unbedingt erreichen möchte, sondern bin schon als Jugendlicher lieber nach Hause gegangen, habe die Partituren studiert und mir überlegt, wie ich die Werke dirigieren würde. Dass ich als Geiger erfolgreich werde, war überhaupt nicht geplant und nicht gedacht. Mein Traum oder das Langzeit-Szenario war schon immer mit dem Dirigieren verbunden und jetzt ist es einfach sehr offensichtlich. Ich muss dazu sagen, dass der Sommer 2022 auch deshalb sehr besonders ist, weil ich mich ab der Saison 2022/23 beinahe gänzlich dem Dirigieren widmen werde. Insofern ist der Sommer 2022 die vorerst letzte Gelegenheit, um als Geiger voll in Erscheinung zu treten — und ich finde es wirklich wunderschön, dass das in Mecklenburg-Vorpommern passieren wird.
War gleich klar, dass Musik das Richtige und die Geige »dein« Instrument sein würde?
Ja, es kam eigentlich nie etwas Anderes in Frage. Ich habe wirklich noch nie überlegt, was ich machen würde außer Musik — ich weiß nicht, ob das ein Fluch oder ein Segen ist. Aber eigentlich bin ich schon vor dem Geigespielen beim Dirigieren gelandet. Wenn man mit einem Dirigenten als Vater aufwächst, steht man eben auch schon mal als Zweijähriger mit auf dem Podest, umarmt die Beine des Vaters und sieht beim Heraufschauen, wie dort oben jemand herumfuchtelt. Für mich war es deshalb das Natürlichste auf der Welt. Natürlich kann man als Siebenjähriger keine Dirigierlaufbahn starten, das geht einfach nicht. Da gibt es eben doch gewisse Traditionen in der Musikwelt, die einfach dazugehören. Und deshalb habe ich angefangen, Geige zu spielen.
Text von Isabel Schubert